Predigt von Bischof Dr. Bertram Meier 
an Fronleichnam 2023 im Augsburger Dom

Stehen zum Herrn – Gehen mit dem Herrn – Knien vor dem Herrn

Lex credendi – lex orandi. Die Weise zu glauben sagt etwas aus über die Art zu beten. Das ist eine alte Faustregel: Sag mir, wie Du betest, und ich sage Dir, was Du glaubst – und umgekehrt. An Fronleichnam wird das offenkundig – öffentlich. Wir zeigen, was wir glauben, durch die Art und Weise, wie wir es nach außen kundtun. Heute bleiben wir nicht in unseren eigenen vier Wänden, wir öffnen die Türen unserer Kirchen und gehen nach draußen. Wir feiern Fronleichnam öffentlich. Wir behalten unseren Glauben nicht für uns, wir zeigen ihn der Stadt – auch denen, die nicht christlich, geschweige denn katholisch sind. Das ist nicht nur eine Demonstration, das ist für viele auch eine Provokation. Wir halten mit unserer Überzeugung nicht hinter dem Berg. Im Gegenteil: Wir zeigen und bezeugen Jesus Christus in einem kleinen Stück Brot, der Hostie.

Ich lade Sie ein, mit mir den Gottesdienst durchzugehen, den wir jetzt feiern. Es beginnt mit unserem Stehen zum Herrn. In der alten Kirche gab es dafür den Ausdruck „Statio“. Alle Achtung, dass Sie am Feiertag so früh aufgestanden sind! Nur selten sieht man den Dom so voll um 8 Uhr morgens. Dass Sie jetzt schon da sind, ist mehr als die Erfüllung des Sprichworts: Morgenstund‘ hat Gold im Mund. Unser Gottesdienst ist ein Statement: Wir stehen zum Herrn. Damit berühren wir die Wurzel dessen, was an Fronleichnam geschieht. Als das Christentum sich über die Welt verbreitete, legten die Missionare von Anfang an größten Wert darauf, dass es in jeder Stadt nur einen Bischof, einen Altar geben sollte. Damit wollte man die Einheit des Leibes Christi ausdrücken, des Herrn, der in der Umarmung vom Kreuz her alle zusammenschließt – über Kulturen und Grenzen hinweg. Genau darin liegt ja der innerste Kern der Eucharistie, dass wir – indem wir das eine Brot empfangen – selbst in die Mitte des Herrn hineintreten und auf diese Weise Leib Christi, Kirche, werden. Das hat praktische Konsequenzen.

Eucharistie ist keine Privatsache unter Freunden, im Club von Gleichgesinnten, wo die sich treffen, die einander sympathisch sind und die zueinander passen. Es geht um etwas viel Tieferes: Wie der Herr sich öffentlich vor den Mauern der Stadt, erhöht auf dem Hügel Golgotha, festnageln ließ und vom Kreuz her mit seinen ausgebreiteten Armen die ganze Welt segnete, so ist die Eucharistie der öffentliche Gottesdienst aller, die der Herr in seine Nähe ruft. In der Feier der hl. Messe verdichtet sich, was Jesus in seinem irdischen Wirken vorgelebt hat: dass Menschen aus unterschiedlichen Sprachen und Strömungen, Interessen und Tendenzen zusammengeführt werden an dem Tisch, den der Herr selbst deckt. Praktisch hieß das in der damals bekannten Welt rund ums Mittelmeer: Die Eucharistie brachte verschiedene Leute zusammen: z.B. die reiche Aristokratin, die sich zu Christus bekehrte, den korinthischen Hafenarbeiter und den Sklaven vom Rand der Gesellschaft, der nach römischem Recht nicht einmal als Mensch, sondern nur als Sache gegolten hat. Das war anfangs revolutionär. Aus den Texten des Neuen Testamentes erfahren wir von den Schwierigkeiten der Gemeinden, diese eucharistische Gemeinschaft, die soziale und kulturelle Grenzen sprengte, zu akzeptieren. Es gab Christen, die sich gegen eine solche offene Kirche sträubten und lieber im eigenen Kreis bleiben wollten. Das ist aber kein eucharistischer Lebensstil. Unser Stehen zum Herrn bedeutet: die Bunkermentalität verlassen und sich öffnen. Ein aktuelles Beispiel: In den Diskussionen um Diversität und sexuelle Orientierung greifen wir zu kurz, wenn wir im Hinblick auf den Empfang der Kommunion darüber befinden wollen, wer hinzutreten darf und wer nicht. Was Papst Franziskus unermüdlich wiederholt, sollte auch unser Maßstab sein: Schwingen wir uns nicht zum Richter über andere auf! Wir sind keine Türsteher vor dem Festsaal der Eucharistie, wir sind Hochzeitslader für das Mahl, das der Herr allen bereitet, die ehrlich danach hungern. Verweigern wir keinem die Kommunion, der darum bittet!

Aus der Statio wird Processio; das Stehen zum Herrn mündet ins Gehen mit dem Herrn. Dies ist der zweite Vollzug unseres heutigen Gottesdienstes. Wir können nur mit dem Herrn gehen, wenn wir gleichzeitig aufeinander zugehen in diesem Procedere, dem Herausgehen und Vorangehen, in der gemeinsamen Prozession, die sich an die Feier der hl. Messe anschließt. Wir gehen mit dem Herrn, der uns zur Gemeinschaft verklammert, so dass unser Weg zusammen gelingen kann. Merken Sie es? An Fronleichnam zeigt sich synodale Kirche - eine Gemeinschaft, die wie eine Wandergruppe unterwegs ist durch unsere Stadt: Wir schreien nicht, wir singen. Wir streiten nicht, wir beten. Wir spielen einander nicht aus, wir bringen uns ein, damit ein Anderer ins Spiel kommt: Jesus Christus, den wir in der Monstranz unseren Mitbürgerinnen und –bürgern zeigen. Welches Bild geben wir ab? Werden sie uns verstehen? Werden sie begreifen, dass der Herr im Brot unser Wegweiser ist? Schön wäre es. Denn der Mensch findet seinen Weg, wenn er sich von dem führen lässt, der Wort und Brot in einem ist. Mit unserer Prozession wollen wir zeigen: Im Gehen mit dem Herrn können wir den Weg durch die Geschichte bestehen. In dieser delikaten, aber auch ungemein interessanten Zeit spüren wir tagtäglich, wie vieles sich wandelt, wie die Geschichte in Bewegung ist. Von einer Zeitenwende ist sogar die Rede. Mit der Ampelregierung hat das Wort Fortschritt einen fast magischen Klang erhalten. Die Koalition wollte „mehr Fortschritt wagen“. Doch inzwischen kristallisiert sich heraus, dass Fortschritt eine Richtung braucht. Nur Bewegung ist noch kein Fortschritt; sie kann auch ins Chaos münden oder in einer rasanten Fahrt in den Abgrund enden. Fortschritt braucht Maß und Ziel. Die letzten Jahre haben uns Grenzen gesetzt: Fortschritt ist weder das bloße Wachstum der Wirtschaft noch die hemmungslose Autonomie des Menschen ohne Gott. Es geht auch um die Sorge um die Schöpfung oder, wie Papst Franziskus sagt, um „das gemeinsame Haus“. Die Fronleichnamsprozession löst nicht alle Probleme, aber dieses Gehen mit dem Herrn ist eine Einladung an alle: Nehmt Jesus mit! Er geht mit Euch!

Unser Gottesdienst wäre ein Torso, wenn Eines fehlen würde: das Knien vor dem Herrn, die Anbetung. Weil Jesus in der Hostie real präsent, wirklich gegenwärtig ist, gehört die Anbetung zum Wesen der Eucharistie. Auch wenn die Anbetung in dieser festlichen Form von Fronleichnam erst im Mittelalter entfaltet wurde, ist das keine falsche Entwicklung, geschweige ein Abfall vom eigentlichen Sinn der Eucharistie, sondern das Heraustreten dessen, was schon immer in ihr schlummerte: Anbetung ist verlängerte Danksagung. Denn wenn der Herr sich uns schenkt, dann kann der Empfang der Hostie nur heißen: das Knie vor ihm beugen, ihn großmachen, ihn anbeten. Schauen wir heute bewusst zu Ihm auf, dem Allerheiligsten: bei der Wandlung, in der Kommunion und dann, wenn wir den eucharistischen Segen empfangen. Thomas von Aquin hat der Kirche wunderschöne Hymnen geschenkt, die das Geheimnis der Realpräsenz von Leib und Blut des Herrn in der Eucharistie deuten und einladen, das Knie vor Ihm zu beugen, dem Geheimnis des Glaubens:

Gottheit tief verborgen, betend nah ich dir.

Unter diesen Zeichen bist du wahrhaft hier.

Sieh, mit ganzem Herzen schenk ich dir mich hin,

weil vor solchem Wunder ich nur Armut bin.

Augen, Mund und Hände täuschen sich in dir,

doch des Wortes Botschaft offenbart dich mir.

Was Gott Sohn gesprochen, nehm ich glaubend an,

er ist selbst die Wahrheit, die nicht trügen kann.

Jesus, den verborgen jetzt mein Auge sieht,

stille mein Verlangen, das mich heiß durchglüht:

Lass die Schleier fallen einst in deinem Licht,

dass ich selig schaue, Herr, dein Angesicht. 

14.06.2023 - Bischöfe , Bistum Augsburg , Predigt